In Verhandlungen kommt es nicht nur auf Fakten und Argumente an – entscheidend ist oft, wie etwas gesagt wird. Das gilt insbesondere für Veränderungsprozesse in Organisationen, in denen Unsicherheit, Skepsis und Widerstand häufig präsent sind. Das Milton-Modell, benannt nach dem Hypnotherapeuten Milton Erickson, ist ein sprachliches Werkzeug, das ursprünglich aus der Hypnotherapie stammt, heute aber in Coaching, Rhetorik und Verhandlungstaktik weit verbreitet ist. Gerade in Change-Verhandlungen – etwa mit Führungskräften, Betriebsräten oder Projektteams – kann es helfen, Vertrauen aufzubauen, innere Zustimmung zu fördern und den Gesprächsrahmen gezielt zu steuern, ohne Druck auszuüben. Statt mit reinen Argumenten zu konfrontieren, eröffnet das Milton-Modell neue Denk- und Möglichkeitsräume – eine Fähigkeit, die in Transformationsphasen oft entscheidend ist.
Was ist das Milton-Modell?
Das Milton-Modell ist eine Sammlung sprachlicher Muster, die darauf zielen, das kritische Bewusstsein des Gegenübers zu umschiffen und das Unbewusste zu aktivieren. Dabei geht es nicht um Manipulation, sondern um gezielte Sprachführung – etwa durch vage Formulierungen, Vorannahmen, Metaphern oder eingebettete Suggestionen.
Typische Muster sind:
- Unbestimmte Verben: „Sie werden verstehen, was ich meine.“
- Generalisierungen: „Alle, die mit uns arbeiten, bestätigen diesen Effekt.“
- Verdeckte Befehle: „Man kann sich gut vorstellen, dass…“
- Vorannahmen: „Wenn wir uns morgen einigen, wie setzen wir es um?“
Anwendungsbereiche in Verhandlungen
Das Milton-Modell eignet sich besonders gut für Verhandlungen, die im Kontext von Change-Prozessen stattfinden – also dann, wenn neue Strukturen, Prozesse oder Technologien eingeführt werden und ein hoher Anteil an emotionaler Beteiligung und Unsicherheit im Raum steht. Gerade hier sind klassische Argumente oft nicht ausreichend, weil Ängste, Verlustgefühle oder ungeklärte Identitätsfragen stärker wirken als rationale Überzeugungsarbeit. Die folgenden Beispiele zeigen, wie Milton-Muster in solchen sensiblen Veränderungssituationen konkret genutzt werden können:
1. Rapport aufbauen
Ein Veränderungsprojekt steht an: Eine Klinik soll ihre dezentral organisierten Einkaufsprozesse in eine zentrale Beschaffungsplattform überführen. In Gesprächen mit Bereichsleitungen begegnen die Projektverantwortlichen subtilen Vorbehalten. Statt direkt in die Debatte einzusteigen, nutzen sie pacing-Formulierungen wie: „Ich kann gut verstehen, dass Sie diesen Prozess mit einem gewissen Maß an Skepsis betrachten – gerade weil Sie bisher viel Autonomie hatten.“ Danach folgt ein Milton-Muster: „Und gleichzeitig entsteht oft gerade aus solchen Veränderungen eine neue Leichtigkeit – sobald klar wird, wie die neuen Abläufe Freiräume schaffen.“
Durch Spiegeln, pacing und passende Sprachmuster kann man eine angenehme Gesprächsatmosphäre schaffen. Beispiel: „Ich sehe, dass Ihnen Klarheit genauso wichtig ist wie mir – deshalb schlage ich vor…“
2. Emotionale Zustimmung erzeugen
In einem IT-Transformationsprojekt soll eine veraltete Anwendung abgelöst werden. Ein erfahrener Mitarbeiter äußert Zweifel: „Warum etwas ändern, das bisher funktioniert?“ Statt zu argumentieren, nutzt die Projektleitung ein bildhaftes Sprachmuster: „Stellen Sie sich vor, Ihre Arbeit läuft künftig flüssig, ohne Umwege, ohne ständiges Nachjustieren – wie eine gut eingestellte Maschine, die einfach funktioniert. Genau das wollen wir erreichen.“ Das erzeugt innere Bilder und emotionale Bereitschaft zur Veränderung.
Anstatt nur sachlich zu argumentieren, werden emotionale Bilder eingesetzt. Beispiel: „Stellen Sie sich vor, Ihre Mitarbeitenden arbeiten mit diesem System künftig ohne jeden Reibungsverlust.“
3. Den Gesprächsrahmen setzen (Framing)
In der Diskussion um ein neues Schichtmodell stehen die Interessen von Mitarbeitenden und Management scheinbar unvereinbar gegenüber. Statt über konkrete Uhrzeiten oder Zuschläge zu streiten, sagt die Moderatorin: „Lassen Sie uns nicht nur darüber sprechen, was verändert wird – sondern was bestehen bleibt. Was ist Ihnen heute schon wichtig, das auch im neuen Modell erhalten bleiben soll?“ Das verändert den Gesprächsrahmen und öffnet den Blick auf Gemeinsamkeiten.
Statt sich auf Details zu verbeißen, wird durch sprachliche Führung ein gewünschter Denkrahmen etabliert. Beispiel: „Die eigentliche Frage ist nicht, ob wir es tun – sondern wie wir es tun, damit es für alle funktioniert.“
4. Einwände vorwegnehmen oder auflösen
Bei der Einführung agiler Arbeitsmethoden äußert ein Teamleiter Bedenken hinsichtlich der Kontrolle und Verantwortung. Der Projektcoach sagt: „Ob Sie sich heute schon dafür entscheiden oder erst nach einer Testphase – entscheidend ist, dass Sie sich sicher fühlen, diesen Schritt zu gehen.“ Hier wird ein Double-Bind eingesetzt: Beide Optionen führen zur Zustimmung, aber der Widerstand wird entkräftet, ohne Druck auszuüben.
Durch sogenannte Double-Binds oder positive Vorannahmen lassen sich typische Widerstände elegant integrieren. Beispiel: „Ob Sie sich heute entscheiden oder morgen – wichtig ist, dass Sie ein gutes Gefühl dabei haben.“
5. Verdeckte Vorschläge unterbringen
In der Verhandlung über ein neues Führungsleitbild möchte die Geschäftsführung partizipative Elemente einführen. Statt diese frontal zu fordern, sagt der Berater: „Viele Organisationen, die diesen Schritt gegangen sind, berichten später: ‚Wir hätten das viel früher machen sollen.‘“ Diese verdeckte Suggestion erzeugt Neugierde und reduziert unbewusstes Abwehrverhalten – der Vorschlag klingt nicht wie eine Forderung, sondern wie ein Erfahrungswert.
Mit indirekten Sprachmustern können Alternativen oder Lösungen eingeführt werden, ohne Widerstand zu provozieren. Beispiel: „Manche Entscheider sagen an diesem Punkt: Genau das macht für mich den Unterschied.“
Grenzen und ethische Reflexion
Das Milton-Modell sollte mit Verantwortung eingesetzt werden. Es zielt nicht auf Übervorteilung, sondern auf Verständigung, Offenheit und Perspektivwechsel. Wer versucht, mit Sprachmustern zu manipulieren, verliert langfristig Vertrauen – und damit auch Verhandlungsmacht.
Fazit
Das Milton-Modell ist kein Zaubermittel, aber ein wirkungsvolles sprachliches Werkzeug in Verhandlungen. Wer es gezielt und authentisch nutzt, kann Gesprächsdynamiken positiv beeinflussen, Widerstände abbauen und nachhaltige Einigungen fördern – ohne Druck, sondern durch kluge Sprache.
Adam Pawelek
hc-change-consulting.de

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