Bei Vergabe von Aufträgen für IT-Leistungen, Medizintechnik und Dienstleistungen wird oft das Verhandlungsverfahren (VgV) oder die Verhandlungsvergabe (UvgO) gewählt. Auch wenn das öffentliche Vergaberecht einige Restriktionen mit sich bringt, stehen den Auftraggebern umfangreiche Möglichkeiten zur Verfügung, Verhandlungen sehr erfolgreich zu planen und durchzuführen.
Die erste Herausforderung für die Auftraggeber ist die Erstellung eines Vergabedesigns, das nicht nur die rechtlichen Anforderungen des öffentlichen Vergaberechtes erfüllt, sondern auch ein professionelles Verhandlungsdesign beinhaltet. Da das öffentliche Vergaberecht einen sehr strukturierten Ablauf des Vergabeverfahrens vorschreibt, erleichtert dies (also anders als oftmals behauptet) in der Praxis die Erstellung des Verhandlungsdesigns. Hier werden oftmals gravierende Fehler bereits in der Konzeptionsphase des Vergabeverfahrens und in der Fachplanung gemacht. Sehr oft werden die Leistungsbeschreibungen und die Wertungskriterien nicht so gestaltet, dass sie sich im professionellen Verhandlungsdesign optimal eingliedern lassen. Bedauerlicherweise achten auch viele beratenden Anwaltskanzleien nur auf das vergaberechtlich korrekte Durchführung des Vergabeverfahrens und nicht auf ein geeignetes Verhandlungsdesign. Wird dabei die Umsetzung des Vergaberechtes streng dogmatisch verfolgt, kann dies schnell dazu führen, dass dadurch die optimale Konzeption des Verhandlungsdesigns verhindert wird. Im Ergebnis kann das vergaberechtliche Ziel einer wirtschaftlichen Beschaffung verfehlt werden.
In vielen Fällen wird gar kein ausreichend spezifiziertes Verhandlungsdesign erstellt. Es werden z.B. keine konkreten Verhandlungsziele schriftlich definiert, keine Verhandlungsstrategie- und taktik festgelegt, keine alternativen Szenarien benannt u.v.m. Die Verhandlungen werden quasi „aus dem Bauch heraus“ geführt. In diesen Fällen hängt der Erfolg der Verhandlung allein von der Person des Verhandlungsführers ab. Bereits in den 80er Jahren durchgeführte Studien zeigten jedoch auf, dass die Nutzung von objektiven Kriterien in Verhandlungen die Ergebnisse der Verhandlungen positiv beeinflussen. [1] In der Fachliteratur wird gefordert, dass die Vorbereitungen so genau erfolgen sollten, dass das Ergebnis nur unwesentlich von der Person des Verhandlungsführers abhängen sollte. [2]
Bei der Beschaffung von Softwarelösungen, die bereits als Standardsoftware vorhanden sind und lediglich customized werden müssen, ist ein Verzicht auf eine Testung der Software (Musterinstallation) ein gravierender Fehler im Rahmen des Beschaffungsverfahrens. Denn – anders als bei einer Präsentation der Software – kann der Auftraggeber bei der Testung zumindest wesentliche Teile der Software selbst „ausprobieren“. Solche Testungen liefern nicht nur wichtige Erkenntnisse für den Auftraggeber für die nachfolgende Verhandlung, sondern schützen vor einigen Überraschungen während der Projektumsetzung.
Ein immer wieder vorkommendes Problem in Verhandlungsverfahren ist die fehlende Rollenverteilung im Verhandlungsteam. Damit ist gemeint nicht nur die „Benennung“ der jeweiligen Rollen und Zuweisung zu den Teilnehmern, sondern eine explizite Rollenbeschreibung und die Festlegung der Kommunikationswege mit dem Verhandlungsführer. Oftmals wird der Verhandlungsführer während der Verhandlung durch eigene Teammitglieder behindert, in dem sie sich z.B. auf fachliche Diskussionen mit dem Bieter einlassen, neue Themen unter Diskussion stellen, die nicht im Verhandlungsdesign vorgesehen waren oder plötzlich in die Rolle des Verhandlungsführers wechseln. Dieses erschwert nicht nur die Arbeit des Verhandlungsführers, sondern verschlingt die Zeit, die für andere wichtige Themen vorgesehen war. Im Ergebnis läuft die Verhandlung nicht nur „unrund“, sondern führt oft dazu, dass die (hoffentlich vorher) berechneten Verhandlungsziele nicht erreicht werden können.
In der Fachliteratur wird auch generell die Meinung vertreten, dass der Entscheider (oft also der Geschäftsführer) aus diversen Gründen nicht die Rolle des Verhandlungsführers übernehmen soll.
Wie die o.g. Beispiele zeigen, ist es sehr wichtig, die Vergabe- und die Verhandlungskonzeption frühzeitig und sehr sorgfältig vorzubereiten, um optimale Ergebnisse zu erzielen.
Adam Pawelek
HC Change Consulting
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Zum Autor:
Adam Pawelek ist Inhaber der HC-Change Consulting und Verhandlungsexperte.
Der am Schranner Negotiation Institute ausgebildeter Qualified Negotiator® und studierter Mediator verfügt über 25 Jahre Verhandlungserfahrung, u.a. als Gesamteinkaufsleiter einer großen Einkaufsgesellschaft. Er ist Trainer für Verhandlungen an der Akademie der Negotiation Advisory Group GmbH und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Verhandlungsforschung.
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Quellen:
[1] Vgl. Roger Fisher und William Ury „Getting to Yes: Negotiating Agreement Without Giving In“
[2] René Schumann, Stefan Oswald, Philippe Gillen, Verhandeln mit System – Spieltheorie und Verhaltensökonomie im Einkauf – die Erfolgsformel für Profis, Springer Verlag 2021.