Der Teufel steckt im Detail – Warum Vergabeverfahren keine Selbstläufer sind

Wer sich mit Krankenhausplanung, Medizintechnik oder IT-Infrastruktur beschäftigt, kennt das: Der Druck ist hoch, die Anforderungen komplex – und dann muss auch noch rechtssicher beschafft werden. Das aktuelle Urteil des OLG Düsseldorf vom 29.05.2024 führt uns eindrücklich vor Augen, wie gravierend kleine Unstimmigkeiten in der Ausschreibungsmethodik sein können. Oder deutlicher gesagt: Wie schnell aus einem durchdachten Vergabeverfahren ein vergaberechtswidriges Verfahren wird.

Was war passiert?

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb die Entwurfsplanung für drei Brückenbauwerke in schneller Bauweise aus – ein technisch anspruchsvolles Projekt. [1] Im Rahmen der Zuschlagskriterien wurden zwei Bewertungsmaßstäbe festgelegt: Preis (40 %) und Konzeptqualität (60 %). Beim Preis wurde nachvollziehbar interpoliert, beim Qualitätskriterium jedoch galt das „Alles-oder-nichts“-Prinzip: Das beste Konzept bekam 5 Punkte, das schlechteste null – unabhängig vom tatsächlichen Abstand.

Zwei Angebote gingen ein. Eines war das günstigste, erhielt beim Preis die volle Punktzahl – beim Qualitätskriterium aber null Punkte. Ergebnis: Keine Chance auf den Zuschlag, weil das Gewichtungssystem de facto ausgehebelt wurde. Der Preisvorteil konnte den Qualitätsnachteil nicht ausgleichen, weil die Qualität im System übermächtig gewichtet wurde.

Was entschied das Gericht?

Das OLG Düsseldorf erklärte diese Methodik für rechtswidrig. Ein Zuschlagskriterium darf nicht so ausgestaltet sein, dass ein Bieter unabhängig vom tatsächlichen Abstand zum besten Angebot „abgestraft“ wird. Denn das widerspricht dem Transparenzgebot, dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Ziel, das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln. Entscheidend ist: Auch bei der Vergabe von Punkten muss der Unterschied zwischen den Angeboten sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Beim schlechtesten Angebot wird im vorliegenden Fall die Leistung (Qualität) unterbewertet, nämlich gar nicht, beim besseren Angebot wird sie demgegenüber regelgerecht gewertet. Damit wird die bekannt gegebene Gewichtung von Preis und Leistung (Qualität) beim schlechtesten Angebot aufgegeben und zu seinem Nachteil verändert. Das Leistungskriterium erhält praktisch einen unverdienten, ausschlaggebenden Rang, wenn man davon ausgeht, dass ein Angebot, das im Wertungssystem des öffentlichen Auftraggebers allein beim Preiskriterium Wertungspunkte erlangt, realistischer Weise nicht in die engere Wahl für einen Zuschlag gelangen kann. „Zwar können grundsätzlich auch Wertungssysteme, welche null Punkte für den schlechtesten Bieter in einem Wertungskriterium vorsehen, eine transparente und wettbewerbskonforme Auftragsvergabe gewährleisten (Senat, Beschl. v. 22.01.2014 – VII Verg 26/13) – wie etwa vorliegend im Kriterium 1 „Honorar/Preis“. Voraussetzung dafür ist aber, dass nicht das schlechteste Angebot völlig unabhängig von seinem Punkteabstand zu den anderen Angeboten mit null Punkten bewertet wird. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass dann – auch bei einer Vielzahl eingegangener Angebote – ein Bieter null Punkte erlangt, obwohl sein Angebot – wenn es auch das schlechteste ist – von den erlangten Punkten lediglich minimal hinter denen der anderen Bieter liegt und alle Angebote tatsächlich eng beieinander liegen. Gleichwohl würde sein Angebot dennoch nicht bewertet werden“ – so das OLG.

Was bedeutet das für die Vergabepraxis

Vergabeverfahren – ob für Medizintechnik, Software oder Bauprojekte – sind längst keine bloße „formale Pflicht“ mehr. Sie sind strategische Hebel. Aber sie bergen Risiken, wenn Bewertungsmethodiken oder Wertungssysteme nicht mit Erfahrung, juristischem Know-how und tiefem Verständnis für den Markt ausgestaltet werden.

Besonders kritisch wird es bei geförderten Maßnahmen. Denn gemäß den führen unrechtmäßige und/oder diskriminierende Eignungs- und/oder Zuschlagskriterien in der Auftragsbekanntmachung oder in den Ausschreibungsunterlagen üblicherweise zu eine Rückforderung der Fördermittel in Höhe von 25 %.[2]

Ein zusätzlicher Erfolgsfaktor liegt in der spezifischen Kenntnis des Krankenhausbetriebs und der dort typischen Projekte: Wer weiß, wie Abläufe im Klinikalltag funktionieren, welche regulatorischen und technischen Rahmenbedingungen zu beachten sind und welche Stakeholder in Planung und Umsetzung eine Rolle spielen, kann Angebote nicht nur realistischer bewerten, sondern auch passgenauer ausschreiben. Kenntnisse über typische Fallstricke bei der Planung von Funktionsbereichen, IT-Migrationen oder der Beschaffung von Medizintechnik sind Gold wert, wenn es darum geht, Bewertungsmethoden rechtssicher zu kalibrieren und spätere Störungen zu vermeiden.

Der Teufel steckt im Detail.

Das klingt abgedroschen – trifft aber den Nagel auf den Kopf. Denn wer glaubt, dass eine Punkteskala von 0 bis 5 automatisch fair ist, irrt. Wer denkt, dass man mit „üblichen“ Templates sicher ist, unterschätzt die vergaberechtliche Komplexität. Und wer davon ausgeht, dass Bewertungsunterschiede „schon irgendwie“ transparent sein werden, riskiert Vergaben, die angreifbar – und am Ende unwirksam – sind.

Warum Vergabespezialisten unverzichtbar sind

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf macht klar: Es reicht nicht, den Inhalt der Leistungsverzeichnisse oder die funktionale Beschreibung der Leistung im Blick zu haben. Es braucht auch Expertise für die Struktur der Bewertungsmatrix, für die saubere Gewichtung und vor allem für deren rechtssichere Umsetzung in der Praxis.

Ein erfahrener Vergaberechtsanwalt oder ein spezialisierter Berater erkennt sofort, wo ein Wertungssystem kippt – lange bevor es jemand rügt.

Und genau das ist entscheidend: Wer Vergabefehler erst im Nachhinein erkennt, steht vor verlorener Zeit, vergiftetem Wettbewerb – und möglicherweise Schadensersatzansprüchen.

Fazit für die Krankenhausplanung

Wer zukunftsfähige Beschaffungen im Gesundheitswesen umsetzen will, muss die Feinheiten der Vergabeverfahren beherrschen oder sich Partner ins Boot holen, die das tun. Denn das Ziel ist nicht nur, sauber zu vergeben – sondern auch: innovationsfähig, wirtschaftlich und gerichtsfest.

Oder mit einem Augenzwinkern gesagt: Ein Brückenbau kann scheitern, wenn man die Punktevergabe falsch ansetzt. Wie viel mehr dann ein hochkomplexes Krankenhausprojekt?

Adam Pawelek

projectontime.de

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[1] OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.05.2024 Verg 35/23

[2] Die „Leitlinien zur Festsetzung von Finanzkorrekturen, die bei Verstößen gegen die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge auf von der EU im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung finanzierte Ausgaben anzuwenden sind.“(COCOF) werden oft als Grundlage genommen, wenn keine landeseigenen „Strafkataloge“ existieren.

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